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Einleitung:
Heute am zweiten Ostersonntag, dem „Sonntag von Gottes Barmherzigkeit“ dürfen wir
einen wichtigen Schritt innerhalb eines Berufungsweges erleben. Unsere Schwester wird ihr gut überlegtes,
über Jahre gereiftes „Ja“ sagen, ihre erste Profess ablegen. Damit bringt sie öffentlich zum Ausdruck,
dass der auferstandene Herr sie angesprochen und gerufen hat. Durch diesen Schritt der zeitlichen
Profess tritt sie in den Raum einer lebenslangen Hingabe an Christus ein – gemäß den Regeln der
Kongregation der „Töchter des Herzens Jesu“, die in Hall auch als „Weiße Tauben“ bezeichnet werden.
Die weiße Ordenstracht erinnert uns nicht nur heute am „Weißen Sonntag“ an die ursprüngliche
Schönheit, die uns als Kinder Gottes durch die Taufe geschenkt ist. Die strahlende Kleidung verweist
ebenso auf das hochzeitlich-bräutliche Verhältnis mit Gott, zu dem wir alle durch Christus berufen
sind. Der Himmel wird eine nie endende Hoch-Zeit sein! Die Ordensleute machen uns jetzt schon –
durch alle Mühen und Schwierigkeiten hindurch – darauf aufmerksam.
Aber kommen wir zur Frage, die Außenstehende bewegt: Wie kann es sein, dass sich eine junge,
attraktive Frau in den eigenartigen Lockdown (oder Lock-in?) einer kontemplativen
Klostergemeinschaft begibt? Warum ziehen sich lebenstüchtige Menschen „von der Welt“ zurück –
um offensichtlich „nur“ zu beten?
1. Im Dienst einer größeren Freiheit
Blicken wir zuerst auf das Osterevangelium: Die Jünger hatten sich ein- und weggesperrt, aus Angst
vor der Welt sich selbst in Quarantäne begeben. Vermutlich fühlten sie sich von Gott verlassen und
um ihre Hoffnung betrogen – haben sie doch alles darauf gesetzt, dass durch Jesus die ersehnte
Erlösung kommen würde. In dieser Situation von Frustration und Wut über das eigene und fremde
Versagen hat sie der Auferstandene überrascht. Er kam durch verschlossene Türen und war plötzlich
in ihrem Lockdown berührbar gegenwärtig – einfach da mit einem unerwarteten Frieden und mit
dem Geschenk von Vergebung. Kein Vorwurf, keine langwierige Aufarbeitung der traurigen
Vorkommnisse, sondern göttliche Nähe, neues Vertrauen und Freiheit – ungeahnte Freiheit! Die
zerstörerische Bosheit, die sie bei der Hinrichtung Jesu erlebt haben, und der Tod selbst sollten nicht
mehr das letzte Wort haben. Der Auferstandene hat den ewigen Lockdown aufgebrochen. In
paradoxer Weise demonstrieren Ordensleute durch ihre Lebensweise diese österliche Freiheit.
Ihr Schwestern seid Anwältinnen dieser österlichen Freiheit! Ich betreibe damit keine idyllische
Verklärung Eurer kontemplativen Berufung. Wir wissen, dass in einer klösterlichen Gemeinschaft
genauso täglich um die neue Freiheit des Herzens gerungen werden muss – persönlich und
zeichenhaft für uns alle. Ganz dem Gebet geweihte Menschen halten gerade durch ihr persönliches
Ringen inmitten einer in sich verschlossenen Welt den Raum für eine größere Freiheit offen. Wir
schnell sind wir doch alle überwältigt und eingesperrt von Besitzansprüchen, Erwartungen,
Erfolgszwängen und falschen Glücksversprechungen. Der gefährliche Lockdown dieser Art hat viele
Namen. Nicht zuletzt führt jede Sünde in ein unheilvolles Eingesperrt-sein. Durch Lüge, Gier, Stolz und
Neid wird jede Beziehung, jeder Lebensraum verdammt eng. Im Kloster leben Menschen, die
keineswegs perfekt sind, aber die Sehnsucht nach Gott mit einem aufmerksamen Herzen wach halten
– mitten in einer Welt, der Gott scheinbar „nicht mehr abgeht“.
2. Die verwundete Wirklichkeit wahrnehmen und zu Gott bringen
Durch das Wahrnehmen und Berühren der Wunden Jesu haben die Jünger Vertrauen geschöpft. Sie
haben verstanden, dass man sich diesem „verwundeten Gott“ anvertrauen kann – bei ihm ist alles
angenommen, was den Menschen verletzt und entstellt. Die „Wahrheit des Lebens“ darf sein. Sie
zeigt sich oft in einer harten, bedrängenden Wirklichkeit. Niemand wird davon verschont, auch nicht
Ordensleute. Mit einem österlichen Blick muss nichts künstlich beschönigt, versteckt oder verdrängt
werden. Das ist der eigentliche Schatz des christlichen Glaubens: In der Gegenwart des barmherzigen
Herrn können wir die Verletzungen, Defizite und selbst das wiederkehrende Versagen annehmen.
Faktum ist, dass niemand „unverletzt“ durchs Leben geht – es gibt keine nur heilen Biographien, auch
nicht von Familien. Unsere Lebensgeschichte begleitet uns überallhin, auch ins Kloster. Aber: Alle
Ereignisse, uralte Kränkungen und andere Altlasten verlieren im Licht des auferstandenen Herrn ihre
zermürbende Schwere. Beziehungen zwischen Eltern und Kindern können geheilt werden.
Die Herz-Jesu-Frömmigkeit dieses Klosters hat viele Wurzeln in der Tradition unserer Kirche. Eine
wesentliche neben dem Charisma der Gründern, der seligen „Maria von Jesus“ ist die Herz-Jesu-
Mystik der Hl. Margareta Maria Alacoque, Schwester im Heimsuchungskloster in Paray Le Monial. Von
1673-75 „sah“ sie mehrmals die Wunden Jesu, vor allem sein Herz, wie strahlende Sonnen. Diese
geistliche Erfahrung war keine Einbildung. Sie hat erfahren, dass Gott die Welt so sehr geliebt hat und
dass diese seine Liebe alles verwandeln kann. Selbst die Wunden größter Lieblosigkeit und
Verhärtung, Bosheit und Unversöhntheit kann Gott durch seine Barmherzigkeit in österliche Sonnen
verwandeln. Ostern bedeutet, dass die Liebe Gottes siegreich war – und dass wir an diese Liebe
glauben dürfen. Die Schwestern, die in dieses Herz-Jesu-Kloster eintreten, halten nicht nur die
eigenen, sondern die vielfältigen Verwundungen unserer Zeit in das österliche Licht – das ist ein
heilsamer Dienst! Ihr Schwestern seid zu diesem solidarischen Beten berufen. Danke dafür!
3. Stellvertretend Da-Sein für Glaubende und Zweifelnde
Nochmals stelle ich die Frage: Warum heute in ein kontemplatives Kloster eintreten? Ist es nur zur
spirituellen Erbauung für jene, die „drinnen“ sind – zur Perfektion ihres mystischen Lebens oder zur
Befriedigung der eigenen religiösen Bedürfnisse? Mit Sicherheit nicht. Das heutige Evangelium
schildert uns eine Person, „die nicht dabei war“ als die Gemeinschaft den lebendigen Christus
erfahren hat. Thomas war draußen. Als er kam, konnten sie ihn nicht überzeugen. Er hatte keine
Erfahrung von Gottes Nähe gemacht und hat das Reden darüber als leeres Geschwätz abgelehnt –
solange er nicht selbst „in Berührung“ käme. Seine Kollegen haben gut reagiert. Sie haben ihn zu
nichts gezwungen, sondern einen Rauf geöffnet, in dem er mit ihnen war – und vom Auferstandenen
selbst überrascht werden konnte. Wo sind heute diese menschlichen und spirituellen Räume, in
denen „Draußen-Stehende“, vielfach „Nicht-Beheimatete“ eine Erfahrung von Gottes Nähe machen
können? Sind es nicht Klöster wie diese hier, die die Glaubenden und Zweifelnden „hereinnehmen“?
Thomas antwortete vollkommen überwältigt: „Mein Herr und mein Gott!“ Mit österlicher Freude
wollen wir in dieses Bekenntnis einsteigen. In dieser Kirche und in diesem Kloster wird mit großer
Treue die eucharistische Gegenwart Jesu wahrgenommen und angebetet. Immer neu staunen wir,
wie berührend einfach sich Gott im gewandelten Brot der Eucharistie schenkt: Jesus ließ sich am
Kreuz für uns „brechen“, um Nahrung zu sein für alle, deren Vertrauen und Lebensmut geschwunden
ist. Er schenkt sich unaufhörlich als der verrückt Liebende – er schenkt sich nicht nur den Frommen
und Tugendhaften, sondern Allen! Eucharistische Anbetung, wie sie hier stattfindet, ist ein österliches
Staunen und heilsames Verweilen. Durch dieses besondere Gebet, dem sich Gott sei Dank auch
wieder einige Leute „von draußen“ anschließen, wird die Kommunion, d.h. die Lebensgemeinschaft
mit dem lebendigen Herrn und die Gemeinschaft unter uns Menschen gestärkt und vertieft. Das stille
Dasein vor dem Herrn, das Ausdauer abverlangt und von Müdigkeit und vielen Fragen bedrängt
werden kann, ist eine unersetzbar wichtige kirchliche Berufung! Danke, dass sie hier gelebt wird.
Abschluss:
Liebe Schwester Verena Maria und alle übrigen Schwestern des Herz-Jesu-Klosters! Wir danken Gott für
die Berufung, die er Euch geschenkt hat – und wir danken für den dreifachen Dienst, den Ihr damit
übernommen habt: Ihr seid Zeuginnen einer Freiheit, die sich nicht machen und erkämpfen lässt. Ihr
seid Assistentinnen für eine verwundete Welt und Gesellschaft, wenn Ihr in solidarischer Weise das
vielfältig Unheilvolle unserer Zeit zu Gott bringt. Und Ihr seid betende Frauen, die stellvertretend
Räume offen halten, in denen Menschen ihr Heimweh nach Gott neu entdecken und zulassen
können. Danke! Dafür lohnt sich der freiwillige Lockdown, den Ihr gewählt habt.
In herzlicher Verbundenheit!